CITOPIA NOW

VISIONEN & STRATEGIEN FÜR DIE STADT VON HEUTE (UND MORGEN)

Die Hoffnung, die ideale Stadt und Stadtgesellschaft ließe sich auf dem Reißbrett entwerfen oder im Kopf erdenken, hat eine jahrtausendealte Geschichte: Von Platons Atlantis oder Thomas Morus’ Utopia bis zu Constants New Babylon oder Yona Friedmans La Ville Spatiale. Erst in den letzten Jahrzehnten machte sich der Pragmatismus allerorten breit und wurde eine Abkehr vom utopischen (Planungs-)Ideal deutlich. Mit dem Verschwinden der Sowjetunion tauchte die These vom Ende der Geschichte auf und Menschen mit Visionen wurde der Weg zum Arzt nahegelegt. So ganz verschwanden die utopischen Gedanken aber trotzdem nie und tauchen verstärkt in den letzten Jahren in neuem Gewand wieder auf. Nicht die großen Gesellschaftsentwürfe, sondern das Aufdecken und Weiterentwickeln von vorhandenen Potenzialen in der Praxis oder die Öffnung neuer Perspektiven durch Interventionen im städtischen Alltag versprechen das urbane Leben, das, wie wir von Henri Lefebvre wissen, noch gar nicht begonnen hat.

Foto: Noah Katz / Art Direction: Atelier Liska Wesle

Die Frage nach der Notwendigkeit und dem Sinn von Utopien ist also noch längst nicht entschieden und wird stets aufs Neue diskutiert. Nicht zuletzt im Hinblick auf die Stadt der Zukunft. Als immer wiederkehrender Stolperstein taucht in der Debatte fast zwangsläufig das visionary/realism dilemma (Frank Cunningham) auf, dem nur schwer zu entkommen ist. Peter Marcuse hat die ewige Falle zwischen utopischer Vision und normativer Kraft des Faktischen mit Verweis auf seinen Vater Herbert Marcuse in einem Interview (Phase 2, Heft 35) einmal so formuliert: „...nur in einer befreiten Gesellschaft (können) die Menschen wirklich befreit sein. Es bedarf aber befreiter Menschen, um eine wirklich befreite Gesellschaft zu erzeugen.“

Viele TheoretikerInnen und AktivistInnen sind sich heute einig, dass die Wurzeln einer neuen, urbanen Gesellschaft in der Gegenwart zu suchen und zu finden sind, und halten es damit ganz mit Marx, wenn er im Vorwort von Zur Kritik der Politischen Ökonomie schreibt: "... neue, höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle (der gegenwärtigen Gesellschaftsformation), bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind“ und daraus folgert, dass „eine Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozess ihres Werdens begriffen sind.“ (Marx, 1971 [1859], S. 9).

Utopisches Handeln in der Stadt von heute

Um die Voraussetzungen für eine lebenswertere Stadt und eine gerechtere Stadtgesellschaft zu schaffen, gilt es also in der Gegenwart zu handeln. Wie diese Stadt aussehen kann und soll, ist nicht festgeschrieben. Eine Vorstellung davon keimt im urbanen Handeln, in politischen Debatten und Aktionen. Margaret Crawford, Professorin für Stadtplanung in Berkley, vertritt die These, dass spontane, urbane Interventionen das Potenzial haben, die gegenwärtige kapitalistische Gesellschaftsordnung weniger als kraftvolle Maschine, sondern eher als löchriges Gewebe erscheinen zu lassen. Interventionen vermögen ein völlig anderes Bild einer gewohnten Situation zu erzeugen, ebenso wie sie die urbane Umgebung als stärker nutzbaren und lebenswerteren Raum inszenieren können (Crawford, 2012: Urban Interventions and the Right to the City). Genau diese von spontanen Interventionen hervorgerufenen neuen, anderen Bilder können Ahnungen der künftigen, utopischen Stadt stärken und konkretisieren.

Citopia Now

Wo aber beginnt der Weg nach Utopia? Wie die Lücken im löchrigen Netz der herrschenden Verhältnisse fruchtbar machen und neue Modelle des urbanen Miteinanders finden? Wo ansetzen in der Fülle der Situationen, die im Alten verharren, obwohl Änderung längst überfällig ist?

urbanize! 2013 macht sich unter dem Motto Citopia Now auf die Suche nach den verborgenen Potenzialen in den Zwischenräumen des Städtischen. Mit interdisziplinärem Programm und vielfältigen Formaten von Vortrag, Diskussion, Workshop, Film und Intervention will das Festival dazu beitragen, latenten Vorstellungen und visionären Ideen zur Revolutionierung des urbanen Alltags beim Keimen zu helfen und dem ewigen visionary/realism dilemma ein Schnippchen zu schlagen.

Theoretische Analyse und Kritik treffen beim Festival wie immer auf praktische Experimentierräume: Mit Perspektivenwechsel und Wahrnehmungsverschiebungen gräbt urbanize! mit Mitteln aus Wissenschaft, Kunst und Aktionismus nach urbanen Potenzialen, um Bilder für eine mögliche Stadt der Zukunft zu erzeugen und dem urbanen Leben zum Durchbruch zu verhelfen.

Visionen willkommen!
die dérives