Urbane Mobilität befindet sich an einem Scheidepunkt. Klar ist, so wie bisher kann es nicht mehr weiter gehen, wenn wir städtische Lebensqualität wollen. Welche Entwicklungen zeichnen sich ab, welche Konzepte gibt es? Welche Strategien sind notwendig, um ein Mobilitätsangebot zu schaffen, das die Bedürfnisse aller StadtbewohnerInnen berücksichtigt, sich nicht vorrangig an Profitinteressen von Konzernen orientiert oder nur ein spezielles Bevölkerungssegment bedient?
Mobilität ist immer Teil von Gesellschaftsmodellen und somit nicht unabhängig von deren Strukturen und Formationen zu sehen. So wie das Schiff das typische Verkehrsmittel für den imperialistischen Kolonialismus war und die beginnende Industriegesellschaft ohne Eisenbahn nicht zu denken ist, gehört das Automobil zur fordistischen Konsumgesellschaft der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Übernahme der Herrschaft des Automobils war jedoch keineswegs immer Folge einer (markt-)wirtschaftlichen Entwicklung, in der ein überlegenes Produkt die bisherigen Angebote verdrängt. Zahlreiche Fälle belegen gezielte, profitgesteuerte Strategien, mit denen ein öffentliches Verkehrsangebot wie etwa städtische Straßenbahnen mit unlauteren Mitteln vom Markt verdrängt wurden - z.B. der Great American streetcar scandal. Ebenso oft waren politische Entscheidungen dafür verantwortlich, dass öffentliche Verkehrsmittel trotz hoher Nachfrage eingestellt wurden, wie etwa im Berlin der 1960er Jahre oder in Istanbul, das heute unter einer Lawine an Autos nahezu erstickt.
Derzeit befinden wir uns wieder in einer Umbruchphase, in der entschieden wird, wie die Mobilitätsangebote der Zukunft aussehen werden. Unterschiedliche Interessensgruppen und Player kämpfen um die Hegemonie in der Debatte – und um künftige Profite. Speziell die Automobilindustrie investiert große Summen, um nicht an Marktanteilen zu verlieren und die Zukunft der Mobilität weiterhin zu dominieren. Im Zentrum dieses Machtkampfes stehen urbane Zentren, weil hier die Erzählung vom Auto als Symbol für Freiheit und Individualität am stärksten an Überzeugungskraft verliert und junge Menschen das Auto immer weniger als Statussymbol sehen. Doch welche Verkehrsmittel wollen und brauchen wir für unsere Stadt der Zukunft? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Mobilität, Gesellschaftssystem und urbanem Leben?
Impulsvorträge und Diskussion mit
Katharina Manderscheid,
arbeitet am Soziologischen Seminar der Universität Luzern, Schweiz, am Lehrstuhl für quantitative und qualitative Methoden. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Stadt-, Raum- und Mobilitätsforschung, insbesondere deren Verhältnis zu sozialer Ungleichheit. Sie promovierte 2004 an der Universität Freiburg im Breisgau mit einer stadtsoziologischen Arbeit zur Konversion eines ehemaligen Kasernenareals in Tübingen, die unter dem Titel Milieu, Urbanität und Raum erschienen ist.
Hermann Knoflacher,
war 1975 bis 2008 Vorstand des Institutes für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik der TU Wien. Er studierte Bauingenieurwesen, Geodäsie und Mathematik. 1970 gründete er das Institut Verkehrswesen beim Kuratorium für Verkehrssicherheit, das er bis 1982 leitete. Seit 1963 praktische Planungsarbeiten. Viele Jahre u. a. Fachberater des Verkehrsministers, in EU-Kommissionen. Forschungsschwerpunkte: Menschen in der technischen Umwelt von Verkehr- und Siedlung, Evolution und Systemverhalten der Mobilität.
Kurzfilm
Warum hasst jeder Autos
Stefan Vogt, D 2011, OF, 00:54 min
KATEGORIEN
Vortrag | Diskussion, Zentrale
TAGS
Mobilität, Verkehr, Gesellschaftssystem, Urbanes Leben, Stadt von morgen